Samstag, 23. Mai 2015

Mittagsschlaf um fünf.

Nachts dagegen sammle ich eigentümliche Gegenstände von den Gleisen: So weit ist es mit mir gekommen. Und doch, das spüre ich, halte ich mich noch nicht am Äußersten auf. Stundenlang bin ich, sobald die Dunkelheit überhand genommen hat, unterwegs und sammle, was mir in die Finger kommt, von den Schienen auf. Und das alles, weil mir mein Schreiben furchtbar eingefahren erscheint.

Wenn es irgendwann zu dämmern anfängt, fahre ich gemeinsam mit den Pendlern von Ludwigshafen nach Heidelberg zurück. Jedes Mal bin ich wie überrascht, dass die Zeit schon vergangen ist, sie scheint mir, wenn ich den Blick so aufs Gleisbett gerichtet halte, nicht voranzuschreiten. Schwelle um Schwelle spüre ich den Dingen nach, als wären sie Tiere, die im Lampenschein ins Dickicht huschen.

Am Rheinufer breite ich feierlich meine Fundsachen aus: Manches ist vielleicht verloren, vieles weggeworfen. Die Spuren menschlicher Achtlosigkeit sind allgegenwärtig. Wie schön dagegen die rote Sonne, die endlich durch die Wolken bricht – Nachdem ich die Dinge sorgfältig angeordnet und sortiert habe, lasse ich noch ein paar flache Kiesel übers glühende Wasser schnellen, ehe ich mich wie befreit in Richtung Bahnhof wende.

Eine Geschichte in einem Zug niederzuschreiben, das ist mir schon lange nicht mehr gelungen. Meine Einsamkeit ist ungeheuer bisweilen, wenn ich nachts am Wald entlang gehe, an verlassenen Bahnsteigen, an den tausend Lichtern des Rangierbahnhofs, die überzeugender tun als die Sterne, vorbei. Erst wenn ich die Mannheimer Rheinbrücke überquere, ist es leichter in mir. Trotz der Dinge, die ich bei mir trage.

Ich denke unablässig ans Schreiben: Aber halte mich auf Entzug. Im Moment würde es mich nicht voranbringen, denke ich, eingepfercht zwischen den Menschen. Die Tauben ziehen ihre Bahnen, die Krähen begnügen sich, unterm eingefalteten Flügel hervorzulugen, und am Himmel die Gestalt der roten Wolken. – So klamm bin ich, was ich M. sagen soll. Ich ringe nach dem ersten Wort, mit dem ich den Roman endlich beginnen kann. Solange aber das erste Wort nicht spuren will, solange gehe ich nachts auf den Gleisen.

https://paulfehm.wordpress.com/
Literarischer Blog. Junge Literatur Heidelberg.

Samstag, 14. Dezember 2013

Seelen wie Fledermäuse gibt es.

Seelen wie Fledermäuse gibt es
in der Dämmerung.
Heimlich umstellt findet sich
was flattert das argwöhnische
Herz das durch die Gassen streunt.
Ich will nicht die Menschen, bewahre!
anregen zum Nachdenken –
Sie denken schon genug
was mich ängstigt:
Ich will nur ihren Kopf
aus dem Fenster werfen.


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in die Wunde deiner Geburt

in die Wunde deiner Geburt
leg ich den Finger,
um deinen Nabel kreist,
was mich behaust, den Gast,
wartend auf Einkehr, und auch heute
kannst du nichts versprechen, zeigst
die den Brückenschlag bildenden Hälse
der Schwäne, die schnäbeligen Türme,
das algenwüchsige Schloss,
die versunkenen Hügel, dort sollten wir
schon lange heimisch sein;
und doch sehen wir einander
niemals in die Augen: angeblickt zu werden
genügt, das Blinde ringsum tastet
sich an uns heran.


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Bei Betrachtung des streunenden Mondlichts auf M.s Schulterblatt.

Es ist nicht wieder gut zu machen: dass man geboren wurde, ist niemals wieder gut zu machen. – Das hier bin ich in der Dunkelheit. Dies ist ein Kissen, ein Kopf liegt darauf. Die Haare sammeln sich wie zufällig daneben. Ihr Rücken ist ein Abhang von blankem ausgeblichenem Fels, der erst unter den Fingern warm und weich wird, als sei die Berührung Licht und Wasser.

Hier rastet die Hand, sie grast und ruht wie im Schatten aus, niemals aber findet sie heim: der Abhang bleibt unbewohnt, bleibt von Licht durchzitterte Steinwüste, die der widerstandslose Wind schleift und formt. – Der Kopf liegt da auch ohne meine Küsse, die Haare, ohne dass ich mich in ihrem Gespinst verliere. All das wäre dort auch ohne mich. Und der Wind draußen bewegt die Wipfel weiterhin auch ohne mein Zutun.

Heute hab ich mich nach langer Zeit wieder in den Wald getraut. Wenn M. mich begleitet, gehe ich sogar gerne den schmalen Weg hinein, der gegenüber meines Fensters beginnt. Wir stiegen den Heiligenberg hinauf, der Pfad war aufgeweicht und rutschig, es regnete noch immer leicht und wie abertausendfach auf die Blätter, die uns schirmten, und kleine Wasser bahnten sich neben uns den Hang hinab. Bisweilen lag in roten Hügeln abgerutschte Erde auf dem Weg.

M. hat ein beinah enzyklopädisches Wissen über den Wald. Sie zeigte mir Hirschzungen und Blutaugen, und erst, als sie auch noch von Eichen anfangen wollte zu reden, hielt ich es nicht mehr aus. Lange saßen wir also so da und sahen zum im Nebel verschwindenden Königstuhl hinüber. Auf diese eigentümliche Weise verstört, die der Wald in mir auslöst, ging ich M. auf dem Heimweg eilig voraus. Als ich rücklings stürzte und M. mich auffangen wollte, fielen wir beide, und waren über und über mit roten Schlamm bedeckt.

Zurück in Handschuhsheim, waren wir uns einig, dass es nun nötig sei, heiß zu duschen. Ich suchte M. frische Kleider zusammen. Mit roten Wangen, wie neugeboren stand sie vor mir. – Und jetzt? Dies sind Haut und Fleisch und Knochen, die anderm Fleisch und Haut und Knochen verfallen sind. In der Nacht weniger gespenstisch noch als am Tag. Im Dunkeln scheint all das doch zusammenzufinden: da liegt M. schön wie der Kosmos neben mir und in diesem schönen All verliert sich langsam meine Misologie.

Gäb es nicht einen Menschen in der Welt, du könntest dich davonstehlen wie ein Dieb in der Nacht. Der Planet aber mit dem blauen, melancholischen Kopf ist nach den Sternen offen, und die sehnsüchtig gewölbten Stirnen der Passanten eilen unablässig in den Gassen. Aus solchen Konstellationen ist keine Flucht. Man ist geboren, geborgen, verhaftet, verloren. Wieder ist es eng im Schädel, wieder verdichtet sich der Raum darin, dass eine Kugel not täte, ihn aufzusprengen. –

Jetzt aber sammeln sich an ihren blassen Schläfen Harz und Honig: man möchte ihre Träume an langen Seilen herauswinden und sich darin einspinnen. So sieht man meine Hand ihr durchs Haar, die Schläfen aufschreckend, und zuletzt Kopf in Kopf versinken. –

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