Freitag, 27. März 2009

Intersex - Geschlechtsanpassung zum Wohl des Kindes?



von Michael Groneberg und Kathrin Zehnder

Inhaltliche Beschreibung

Ethik und politische Philosophie

Herausgegeben vom Interdisziplinären Institut für Ethik und Menschenrechte der Universität Freiburg Schweiz unter der Leitung von Jean-Claude Wolf- Beat Sitter-Liver - Adrian Holderegger - Simone Zurbuchen

Band 12: Michael Groneberg/Kathrin Zehnder (Hrsg.)
«Intersex»; Geschlechtsanpassung zum Wohl des Kindes?

Zum Inhalt:

In Ovids Metamorphosen verschmelzen die Götter die Nymphe Salmacis mit Hermaphroditos - Sohn von Hermes und Aphrodite - zu einem Zwitterwesen aus Mann und Frau. In unserer Kultur wurden Hermaphroditen in der Mythologie als vollkommene Wesen verehrt und in der Realität lange Zeit zu Monstern erklärt und getötet. Nach kanonischem Recht konnten intersexuelle Menschen ihr Geschlecht selbst bestimmen, seit dem 18. Jh. wird vermehrt ein wahres männliches oder weibliches Geschlecht hinter der zweideutigen Erscheinung vermutet. Vor rund 50 Jahren begann sich die Theorie durchzusetzen, dass die Geschlechtsidentität -«Ich bin ein Mädchen / ein Junge» - ausschließlich durch Sozialisation festgelegt werde, so dass eine uneindeutige Anatomie chirurgisch in beliebiger Richtung korrigiert werden könne. Obwohl diese Auffassung mittlerweile revidiert ist, nimmt man weiterhin so genannte Geschlechtsanpassungen vor. Es mehren sich kritische Stimmen gegen diese medizinisch nicht immer zwingend indizierte Praxis, die zu Traumatisierungen führen kann und die Menschenwürde sowie das Selbstbestimmungsrecht des Kindes verletzt. Im vorliegenden Band widmen sich Vertreterinnen verschiedener Disziplinen - Philosophie, Sozialwissenschaft, Sexualwissenschaft, Psychologie und Recht - im Dialog mit Betroffenen und Eltern diesem Thema. Es werden einschlägige Begriffe und Erfahrungen sowie die juristischen und therapeutischen Probleme dargestellt und ethische, juristische und Behandlung und Forschung betreffende Schlussfolgerungen gezogen. Das Buch enthält ein ausführliches Glossar, eine Liste von Kontaktadressen und einen Katalog von Empfehlungen.

Beiträge:

Eveline (AGS-Betroffene), Michael Groneberg (Philosophie), Karin Plattner (Mutter), Hertha Richter-Appelt (Sexualwissenschaft), Jürg Rieben (Psychologie), Mirjam Werlen (Recht), Kathrin Zehnder (Sozialwissenschaft)

Die Herausgeber:

Michael Groneberg aus Eisenerz in der Steiermark ist promovierter und habilitierter Hochschullehrer und -forscher in Philosophie (Ethik, Wissenschaftsphilosophie, Antike). In der Geschlechterforschung steht im Vordergrund seines Interesses die Konstruktion und Normierung von Sexualität, Geschlechtlichkeit und männlicher Subjektivität. In derselben Reihe erschien von ihm Bd. 13 «Der Mann als sexuelles Wesen - Zur Normierung männlicher Erotik».

Kathrin Zehnder aus Baden im Aargau ist lizenzierte Sozialwissenschafterin und diplomierte Sozialarbeiterin. Sie promoviert im Fach Soziologie im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Pro*Doc-Projekts zur Frage des Widerstands seitens der intersexuellen Selbsthilfe-Bewegung im deutschsprachigen Raum gegen die Behandlungspraxis und das «doing sex» der Medizin. Sie interessiert vor allem die Frage, wie Intersexualität von den Aktivistinnen fern der medizinischen Pathologie gelesen und verhandelt wird.

ISBN: 978-3-7278-1506-5

Rezension

Der Titel dieses Buches warf bei mir die Frage auf, ob das vorliegende Werk die Behandlungsrichtlinien kritisch hinterfragt oder bekräftigt?

Der Einleitungstext zu diesem Buch ließ auf Positives hoffen. Die bestehenden Behandlungsrichtlinien werden kritisiert und das Wohl und die körperliche Unversehrtheit des Kindes werden in den Vordergrund gestellt. Es wird ausdrücklich auf die Zusammenarbeit mit Betroffenen hingewiesen und soll der Medizin neue Denkanstöße für die Behandlungsrichtlinien Intersexueller Menschen geben.

Kathrin Zehnder analysiert die persönlichen Geschichten der XY-Frauen-Seite unter verschiedenen Gesichtpunkten, z.B. Familie, Freundschaft, Partnerschaft, Ängste, Ärzte und belegt das mit Zitaten aus den Geschichten.

Hertha Richter-Appelt stellt Ergebnisse der Katamnesestudie bei Erwachsenen mit verschiedensten Formen der Intersexualität vor und erläutert die Ergebnisse.

Michael Groneberg berichtet über Mythen und Wissen zu Geschlecht und Intersexualität.

Jürgen Rieben referiert über die Genese der Geschlechtsidentität als individuelle kognitive Leistung im sozialkulturellen Kontext.

Mirjam Werlen hinterfragt den rechtlichen Schutz für Kinder mit bei der Geburt uneindeutigem Geschlecht.

Anschließend werden neue Behandlungsempfehlungen gegeben.

Fazit

Wie bereits der Einleitungstext vermuten ließ, werden die etablierten Behandlungsrichtlinien kritisiert und neue Behandlungsempfehlungen entworfen. Bis auf eine kleine Ausnahme im Beitrag von Hertha Richter-Appelt über die Entwicklung der Geschlechtsidentität bei nicht behandelten Kindern, in dem abermals behauptet wird, es könne mit uneindeutigem Geschlecht keine ungestörte Geschlechtsidentität entwickelt werden und langatmigen Mythen sowie einem unverständlichen Beitrag zur Genese der Geschlechtsidentität, ist das Buch doch sehr interessant.

Bleibt zu hoffen, dass sich der eine oder andere behandelnde Speziallist dieses Buch zur Hand nimmt. Trotz der kleineren Kritikpunkte ist dieses Buch sehr empfehlenswert und vermittelt auch eine andere Sicht, gerade auf die Behandlung intersexueller Menschen und ihr Wohl, sowie auf die rechtlichen Hintergründe wird eingegangen.

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