Freitag, 16. Dezember 2005

Erinnerungen an die Kindheit

Meine erste Erinnerung an mein intersexuelles Leben spielt im März 1982. Komisch das ich mich daran noch so genau erinnern kann, das ist ja nunmehr schon über 20 Jahre her. Ich erinnere mich, das ich damals nach meiner OP im Aufwachraum lag und merkte, irgendetwas ist anders. Ich versuchte in meiner Schläfrigkeit herauszufinden was dieses Etwas war.

Dieses Etwas war nicht nur die durchgeführte Gonadektomie, von deren Tragweite ich dann im Alter von ca. 11 Jahren erfuhr, sondern auch die Klitorisreduktion. Von dieser gleichzeitig durchgeführten Operation erfuhr ich allerdings bis zu dem Zeitpunkt vor ca. einem Jahr nichts. Vor einem Jahr kam ich in den Besitz eines kleinen Teils meiner Unterlagen, aber dazu später mehr.

Meine nächste Erinnerung findet schätzungsweise am gleichen Tag statt. Als meine Mutter abends die Uni verlässt, bin ich frisch operiert, über mein Gitterbett geklettert und meiner Mutter hinterher gerannt. Ich weis nicht, wie weit ich gekommen bin, aber ich habe in meiner Erinnerung immer die Uni und insbesondere meinen düsteren Zimmertrakt von außen vor Augen. Es war ein dunkler ziemlich tief in die Erde gebauter Trakt; in das Zimmer fiel kaum Sonnenlicht.

Das sind, an die damalige Zeit mit ca. fünf Jahren, auch schon alle Erinnerungen. Was das damals für Operationen waren und die Auswirkungen dieser wusste ich natürlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Das sollte ca. 6 Jahre später geschehen.

Also gingen die Jahre vorbei und ich versuchte das erlebte zu verarbeiten. Jedes Jahr ging es in die Uni. Jedes Jahr das gleiche Theater; ich wollte dort nicht hin - ich musste dort hin. In der Uni angekommen hieß es wieder warten. Mir kam es wie Stunden vor; doch dann nach einer Ewigkeit war ich dann doch an der Reihe. Ich musste mich ausziehen und auf der Liege platz nehmen. Es folgte eine kurze Untersuchung und ein nichts sagendes Gespräch mit mir/über mich und dann mit meiner Mutter. Ich verstand kein Wort davon. Ich wollte da nur raus. Die ausgelieferte Situation und der Gestank in der Uni haben mich angeekelt.

Meine nächste Erinnerung kann ich zeitlich nicht einordnen, ich weis nur, dass ich nackt, in einem dunklem Keller, vor einem Vorhang stehe und Fotos von mir geschossen werden. Ich schätze, da müsste ich so Sieben oder Acht Jahren gewesen sein.

Dann mit elf Jahren hieß es wieder einmal auf zur Uni. Was an diesem Tag geschehen sollte, hat mein bisheriges Leben verändert. Wie jedes Mal wollte ich nicht in die Uni; mir blieb aber nichts anderes übrig als gehorsam zu sein und so fand ich mich irgendwann - wie schon so oft - im Wartezimmer in der Uni wieder. Der Gestank und die Atmosphäre waren scheußlich. Nach einer Ewigkeit wurde ich aufgerufen. Wie jedes Mal musste ich mich ausziehen und auf der Liege Platznehmen. Als ich da so lag und krampfhaft die Decke anstarte, untersuchte mich der Arzt. Plötzlich meinte der Arzt zu meiner Mutter es wäre doch alles in bester Ordnung und ich würde mich ja prächtig entwickeln. Und dann kam die Aussage, die mir das Blut in den Adern gefrieren lies. Er sprach von der Entfernung der Eierstöcke und der Gebärmutter. Ich war geschockt, ich war gelähmt, ich wollte auf der Stelle im Erdboden versinken und verschwinden. Als ich mich endlich wieder anziehen durfte bin ich so schnell wie möglich aus der Uni gerannt. Als meine Mutter mich dann am Rande der Uni fand war ich total verstört. Ich fragte sie, ob ich nun keine Kinder mehr bekommen könnte - eigentlich kannte ich die Antwort ja schon längst. Ich glaube das war die einprägsamste Antwort die ich je in meinem Leben bekommen habe. Wir sind dann noch lange am Fluss entlang der Uni gelaufen. Sie hat versucht mir alles zu erklären. Doch mit elf Jahren war ich alles andere - nur nicht im Stande - solch einen Sachverhalt zu verstehen.

Sie erzählte mir von der Gonadektomie, das mir die Gebärmutter und die Eierstöcke entfernt wurden, und das ich später noch eine Operation machen lassen müsste - eine Vaginalplastik. Spätestens an diesem Punkt war das für mich zu viel, den Rest über meine XY-Chromosomen habe ich dann schon gar nicht mehr richtig wahrnehmen können. In meinem Kopf geisterte nur dieser eine Satz umher: "Nein du kannst keine eigenen Kinder bekommen."
Nach dem Besuch in der Uni ging es regelmäßig zu Besuch bei der Verwandtschaft. Bei der Verwandtschaft angekommen, wurde dann wieder auf Friede Freude Eierkuchen gemacht. Wie es mir dabei ging, wurde nicht hinterfragt: Ich fühlte mich scheußlich und abartig. Ich wusste aus der Schule das XY-Chromosomen für Männer stehen und XX-Chromosomen für Frauen. Ich war ein Mädchen - zumindest dachte ich das bis dahin - und sollte XY-Chromosomen haben. Ich musste ein Monster sein. Meine Kindheit war schlagartig beendet.

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